Weniger ist Mehr!
Aschermittwochesrede von
Bernhard Pohl, Leitlinienreferent im FW-Landesvorstand
Sehr
geehrter Herr Landesvorsitzender Deuerlein,
Sehr geehrter Herr Bezirksvorsitzender Aiwanger,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
welche Schlagzeile der letzten Tage ist Ihnen am meisten gewärtig? Der Prozeßbeginn
gegen Michael Jackson, 572.000 Arbeitslose im Januar in Bayern oder der Wett-
und Manipulationsskandal im deutschen Fußball?
Es ist bezeichnend, meine Damen und Herren: Die Unschulds-Pressekonferenz mit
kostenlosen Fernsehbildern vom bezahlten Fußball, die der Essener
Schiedsrichter Jürgen Jansen vergangene Woche in Passau aufgeführt hat, stieß
auf weit mehr Interesse als die Erklärungen des bayerischen
Wirtschaftsministers zur Nachkriegs-Rekordarbeitslosigkeit in Bayern. Da fragt
man sich dann schon: Was haben wir in Deutschland eigentlich wirklich für
Probleme?
Interessant auch, daß es wochenlang Montagsdemonstrationen gegen die Hartz
IV-Gesetzgebung gab, nicht aber dagegen, daß nach offizieller Statistik über 5
Mio. Menschen in Deutschland ohne Beschäftigung sind. Haben wir uns wirklich
daran schon gewöhnt?
Im übrigen sind diese 5 Mio. Menschen nur die offizielle Statistik – die tatsächliche
Zahl liegt weitaus höher. Zählt man die Vorruheständler dazu sowie all
diejenigen, die in Trainingsprogramme und Personalserviceagenturen abgeschoben
wurden, dürfte die Zahl bei etwa 7 Mio. Menschen liegen.
Aber selbst die offizielle Arbeitslosenstatistik müßte einem eigentlich die
Schweißperlen auf die Stirn treiben. In Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt
und Brandenburg sind mehr als 20 % der Menschen arbeitslos, offiziell
wohlgemerkt. Es gibt Arbeitsamtsbezirke in dieser Republik, in denen die
Arbeitslosigkeit beinahe jeden Zweiten erfaßt hat. Und selbst im gelobten Land
Bayern marschieren wir stramm auf die 10 %-Marke zu. Was, meine Damen und Herren, ist aus dem einstigen
Wirtschaftswunderland Deutschland geworden?
Und dennoch: Die Demonstrationen, der Zorn vieler Bürger richtet sich nicht
gegen das Versagen von Bund und Land bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit,
nein, viel größer ist die Sorge, daß die Behaglichkeit der sozialen Hängematte
abnimmt.
Ein alarmierendes Signal! Wer durch den Verlust seines Arbeitsplatzes nicht mehr
imstande ist, ohne staatliche Hilfe zu überleben, der sollte doch mit aller
Macht danach trachten, wieder auf die Sonnenseite des Lebens zurückzukehren.
Wer im Fußball oder Eishockey auf einem Abstiegsplatz steht, muß doch doppelt
hart arbeiten, um das rettende Ufer wieder zu erreichen. Wer sich aber, um im
Bild zu bleiben, nur darum kümmert, daß der Fall möglichst weich ist, der hat
sich mit dem Abstieg bereits abgefunden. Wer gegen Hartz IV und nicht für neue
Arbeitsplätze demonstriert, demonstriert nur eines: Mutlosigkeit,
Perspektivlosigkeit, Selbstaufgabe.
Ich bin ganz sicher nicht der Meinung, daß die Hartz IV-Gesetzgebung in ihrer
Ausgestaltung ein politisches Meisterstück ist. Da wurden, angefangen von
verworrenen und verfassungsrechtlich bedenklichen Zuständigkeitsregelungen bis
hin zu ungenügenden Ausdifferenzierungen eine Menge Fehler gemacht. Aber die
Richtung stimmt, meine Damen und Herren. Ich bin mit Herrn Stoiber nicht immer
einer Meinung, aber seine Aussage hierzu trifft den Nagel wirklich auf den Kopf:
Sozial ist, was Arbeit schafft.
Der Wettbewerb hat sich verschärft, und zwar überall. Seit der Kommunismus die
Staaten Osteuropas nicht mehr im Würgegriff hält, seit diese Völker aus der
barbarischen sozialistischen Sklaverei befreit sind, sind sie nicht nur ökonomisch
gesehen zu neuen Absatzmärkten geworden, nein, sie haben sich auch zu
Konkurrenten entwickelt. Auch die Globalisierung führt zu einer Umverteilung
von Wohlstand – die Profiteure sind neben großen Konzernen aber auch
zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer, für die die Globalisierung weit
segensreicher ist als in der Vergangenheit jegliche Entwicklungshilfe.
Freiheitliche, auf Wettbewerb angelegte Wirtschaftssysteme funktionieren aber im
Grunde genommen wie der Sport: Es gibt Sieger und Verlierer. Was sich in der
Wirtschaft abspielt, können Sie auch im Sport ablesen. Plötzlich finden Sie
bei olympischen Spielen in der Medaillenwertung China und Südkorea weit vorne,
während Deutschland, das früher gemeinsam mit der DDR in der Medaillenwertung
ganz vorne zu finden war, nach hinten durchgereicht wird. Es gibt Sieger und
Verlierer aber die Siegermentalität, die kann ich momentan in Deutschland nicht
ausmachen. Das liegt aber beileibe nicht nur an den Montagsdemonstranten, an den
vielen mutlosen Menschen, die sich mit ihrer Situation, am Existenzminimum zu
leben, abgefunden haben. Es liegt auch und in hohem Maße an unseren Vorbildern.
„Zum ersten, zum zweiten und zum dritten – wer hat noch mehr zu bieten?“
Manchmal komme ich mir vor wie bei einer öffentlichen Versteigerung, wenn ich
die expolisionsartige Entwicklung der Managergehälter in Deutschland betrachte.
Nein, meine Damen und Herren, es ist kein Neid. Und es ist auch im Grundsatz
richtig, daß jeder das verdient, was er bekommt. Zum Verdienen gehören ja
bekanntlich immer zwei: Einer der fordert, und einer der bezahlt.
Aber es ist eine Frage der Ethik, es ist eine Frage der Moral und es ist eine
Frage der Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit
und damit auch der Vorbildfunktion, in schlechten Zeiten Solidarität mit denen
zu zeigen, denen ein Verzicht notwendigerweise abverlangt wird, denen dieser
Verzicht aber weitaus mehr weh tut als denen, für die die Gehaltsabrechnung in
einer endlosen Aneinanderreihung von Nullen besteht – vor dem Komma natürlich.
Wer sich in schlechten Zeiten noch zusätzliche Taschen annähen läßt, weil
die vorhandenen Taschen schon randvoll sind, nur um immer noch mehr zu kriegen,
der demotiviert Langzeitarbeitslose und trägt ungewollt aber zwangsläufig dazu
bei, daß Neid und soziale Spannungen aufkommen und der Nährboden bereitet wird
für eine neue sozialistische Schlangenbrut.
Ja, dieses Managerspiel! Wer in diesen Club vorgedrungen ist, der hat es
wirklich geschafft. Traumgehälter, Riesenabfindungen, kein persönliches Risiko
– was will man mehr? Aber der Gipfel ist ja, daß diese Clique wie Pech und
Schwefel zusammenhält. Man sollte meinen, daß ein gescheiterter Manager wieder
ganz unten anfangen muß, sich wieder neu empfehlen muß für höhere Aufgaben
oder als Privatier sein weiteres Dasein fristet. Nein! Sie werden diesen Manager
mit hoher Wahrscheinlichkeit einige Jahre später erneut ganz oben antreffen –
manchmal sogar bei der Konkurrenz.
Wenn ich dann auch noch an das pubertierende Getue um die Veröffentlichung der
Managergehälter denke, dann kommen mir endgültig die Tränen. Es ist eine
Schande, daß unsere Wirtschaftsbosse nicht wenigstens dazu stehen, was sie
verdienen. Und es ist ein Skandal, daß ein Aktionär, also ein Mitinhaber eines
Unternehmens nicht einmal darüber Bescheid weiß, was seine leitenden
Angestellten verdienen .
Aber wer hat denn heute überhaupt noch die Legitimation, sich über unsere
Manager aufzuregen? Sie glauben doch nicht etwa, daß ein Gewerkschaftsboß
inklusvie seiner ganzen Aufsichtsratsposten von einem Facharbeitergehalt leben
muß. Auch hier wäre es durchaus angebracht, deutliche Zeichen zu setzen. Aber
auch da ist es mit der Glaubwürdigkeit in vielen vielen Fällen nicht recht
weit her. Man hat manchmal sogar den Eindruck, der erbitterte Kampf der
Gewerkschaften um die Mitbestimmung wurde und wird nicht deswegen geführt, weil
man die Rechte der Arbeitnehmer stärken will, sondern weil man sich lukrative
Aufsichtsratsposten nicht wegnehmen lassen möchte.
Ich sage Ihnen, das Gebaren dieser Menschen ist mehr als kurzsichtig gedacht.
Das gilt im übrigen auch für Entscheidungen, wie sie die Deutsche Bank erst kürzlich
getroffen hat. Der Dank an die Mitarbeiter für das Rekordergebnis dieses
Konzerns bestand nicht etwa in einer Sonderzahlung, einer Gratifikation. Nein,
der Dank bestand in der Ankündigung, 6900 Stellen zu streichen. Kurzfristig ist
dieser Gedanke wahrscheinlich ökonomisch richtig. Langfristig ist er eine
Katastrophe. Er nimmt den Mitarbeitern die Motivation und der Gesellschaft die
Skrupel. Würden Sie nach solchen Aussagen noch mit besonderem Elan dafür kämpfen,
daß Ihre Firma auch zukünftig fette Gewinne macht?
Horst Seehofer hat kürzlich in anderem Zusammenhang von einer Generation der
„Ichlinge“ gesprochen. Dabei meinte er den politischen Nachwuchs in seiner
eigenen Partei. Diesen Begriff, meine Damen und Herren, kann und muß man aber
ausdehnen. Diese Ichlinge gibt es nicht nur in der CSU, wie dieses Beispiel der
Deutschen Bank eindrucksvoll beweist. Aber eines kann ich Ihnen versprechen:
Eine Gesellschaft der Ichlinge ist mittelfristig nicht überlebensfähig. Wer
nur kurzfristig an den eigenen Profit denkt, wird heute Erfolg haben und morgen
von dem nächsten Ichling überrollt werden.
Ich bin der Meinung, die Politik muß hier gegensteuern: Dabei rede ich gar
nicht von einer Gehaltsobergrenze für Manager, einem Salary-Cap, den es im
amerikanischen Sport gibt. Nein, ich fordere etwas anderes: Auch Manager müssen
sich kraft Gesetzes am wirtschaftlichen Erfolg und insbesondere Mißerfolg des
Unternehmens finanziell messen lassen. Spätestens im Falle der Insolvenz muß
ein Teil der Managergehälter, ein Teil dessen, was die Vorstände verdient
haben, in die Insolvenzmasse fließen und nicht in die Taschen der primär
Verantwortlichen.
Was, meine Damen und Herren, unterscheidet einen Handwerksmeister von einem
Konzernvorstand? Wenn der Handwerksbetrieb kein Geld mehr hat, geht er in die
Insolvenz. Der Handwerker verliert seine Existenz und sein ganzes Vermögen, mit
dem er für die Kredite seines Betriebs geradesteht. Hat ein Konzern kein Geld
mehr, bekommt er Geld vom Staat. Der Konzernchef scheidet mit einer fetten
Abfindung aus, und das läuft unter dem Stichwort Mittelstandspolitik, meine
Damen und Herren.
Sie haben doch die Entwicklung bei Walter-Bau verfolgt. Worüber wird hier
diskutiert? Um das Schicksal des Baulöwen Ignaz Walter, zugegebenermaßen eine
persönliche Tragödie. Um das Schicksal von 9000 Arbeitsplätzen, nicht minder
eine Tragödie. Aber wer spricht z.B. von den Hunderten kleinen
Handwerksbetrieben, die von diesem Konzern noch Geld bekommen und in einem
Insolvenzverfahren mit einer lächerlichen Quote abgespeist werden? Wer spricht
von diesen Handwerksmeistern, von diesen selbständigen Unternehmern, die anders
als die großen Konzerne rechnen können, in einer mehr als schwierigen Branche
einen jahrelangen Überlebenskampf führen und jetzt durch den Tod dieses
Bauriesen möglicherweise völlig unverschuldet ihre Existenz verlieren? Auch
das sind Arbeitsplätze, meine Damen und Herren, nicht nur die Beschäftigten,
die beim Mutterkonzern angestellt sind. Und um diese kleinen Handwerksbetriebe,
da kümmert sich kein Mensch.
Ich bekomme so einen Hals, wenn ich höre, wie sich die CSU ständig mit der
Floskel der Mittelstandsförderung schmückt. Ich fordere daher alle, die
genauso wie wir von den Freien Wählern diese Diskrepanz
zwischen geschwafelter Mittelstandsförderung und gelebter Praxis
anprangern, auf, diesen Mißstand deutlich zu artikulieren. Und, meine Damen und
Herren, haben Sie selbst den Mut, den Mund aufzumachen! Überlassen Sie es nicht
Ihren Verbandsfunktionären, mischen Sie sich selbst ein! Sie haben die
moralische Legitimation, Sie haben die Glaubwürdigkeit, denn Sie stehen tagtäglich
an der Front. Mit Ihrem Geld, mit Ihrer Verantwortung, und Sie nehmen diese
Verantwortung weiß Gott mehr und besser wahr als viele von denjenigen, die wir
tagtäglich in den Medien bewundern dürfen.
Wir Freie Wähler betreiben Mittelstandspolitik. Wir bekämpfen tagtäglich mit
mehr oder weniger großem Erfolg bürokratische Hürden, die uns das öffentliche
Vergaberecht auferlegt, wenn wir bei den örtlichen Bauaufträgen örtliche
Mittelständler zum Zug kommen lassen. Wir kratzen unser spärliches Geld in den
Kommunen zusammen, um zum Wohle der heimischen Wirtschaft und der Bürger
Investitionen zu tätigen. Wir versuchen lokal und regional unserer
Vorbildfunktion zu entsprechen. Wir tun es, meine Damen und Herren, aber wie
weden wir von der großen Politik unterstützt?
Wer Opfer abverlangt, muß glaubwürdig Opferbereitschaft vorleben. Und da paßt
es einfach nicht ins Bild, daß aktive Politiker wie Laurenz Mayer, Siegmar
Gabriel oder andere wesentliche Teile ihres Einkommens von Großkonzernen oder
Gewerkschaften beziehen. Und da reichen Bauernopfer, personelle Konsequenzen,
einfach nicht aus. Warum muß Laurenz Mayer gehen? Er hat im Grunde genommen
nicht viel anderes getan als viele andere seiner Kollegen auch. Egal, wie man
das im einzelnen nun bewertet.
Auch hier stellt sich die Frage der Motivation derer, die hinten runtergefallen
sind. Was soll ein Langzeitarbeitsloser denken, wenn er mitbekommt, daß ein
Parlamentarier, auf den er eigentlich seine Hoffnung setzen soll, neben seinem
Amt als Volksvertreter noch so viel Zeit hat, einen Nebenverdienst zu haben, den
viele von uns ihr ganzes Leben nicht als Hauptverdienst erreichen? Ich weiß, es
gibt Workaoholics. Aber es gibt in der Politik so viel zu tun, so viel
anzupacken, daß man auch ohne Nebenjob einen 24-Stundentag haben kann. Und von
daher fordere ich eine saubere Regelung der Nebentätigkeiten: Entweder komplett
verbieten, dann aber auch die Abgeordneten-Diäten deutlich erhöhen. Dann
leisten sie auch was für ihr Geld. Oder wir rechnen 50 % der Erlöse aus Nebentätigkeiten
auf die Diäten an. Dann wird der Steuerzahler wenigstens dafür entschädigt,
daß sich der Abgeordnete nicht 100 % seiner Zeit um sein politisches Mandat kümmert.
Aber bis es soweit ist, meine Damen und Herren, fordere ich die Medien auf, die
Nebentätigkeiten aller Abgeordneten auch tatsächlich mit ihren Mitteln zu veröffentlichen.
Es reicht nicht aus, daß die Bundes- und Landtagsverwaltung darüber Bescheid
weiß. Der Bürger soll wissen, mit wieviel Prozent seiner Zeit sein
Abgeordneter tatsächlich für ihn zur Verfügung steht. Und dann kann der Bürger
bei der nächsten Wahl selbst entscheiden, worauf er seine Schwerpunkte legt:
Qualifikation, Engagement, großer Namen.
Und ich möchte in diesem Zusammenhang noch eine Anregung geben: Um die Praxisnähe
unserer Politiker zu steigern, sollte jeder Parlamentarier jährlich für
zweimal drei Wochen an die Front geschickt werden. Einmal in ein mittelständisches
Unternehmen, zum anderen in eine soziale Einrichtung. Aber bitte nicht mit
Blitzlichtgewitter, Kamera und kaltem Buffet. Keine inszenierte Show unter dem
Motto „Der Herr Abgeordnete kommt“. Es wäre bei manchen unserer
Volksvertreter dringend erforderlich, daß sie wieder zu ihrer Basisstation zurückkehren.
Oder, wie der Focus im vergangenen Jahr über unsere Staatsregierung formuliert
hat: „Seit Politsolist Stoiber bei der vorigen Landtagswahl die 2/3 Mehrheit
errang, schwebt das Raumschiff Staatskanzlei in ganz eigenen Sphären und droht,
den Kontakt zu seinen Versorgungsschiffen zu verlieren.“
Und wie sehr dieser Kontakt zur Basis verloren gegangen ist, meine Damen und
Herren, sehen Sie an einer ganz einfachen Wortschöpfung: Hartz IV! Die
Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe wird nach einem hochbezahlten
Manager des VW-Konzerns benannt. In meinen Augen eine unglaubliche
Geschmacklosigkeit!
Ein guter Teil unserer derzeitigen Misere in unserem Land liegt am mangelnden
Vorbildverhalten. Aber, meine Damen und Herren, es gibt auch haarsträubende
politische Fehlentscheidungen, und das mehr als genug! Die sträfliche Vernachlässigung
des Mittelstandes habe ich schon genannt. Unsere Europapolitik ist aber nicht
minder verhängnisvoll.
Die Osterweiterung der europäischen Union mit Deutschland als politischem Motor
ist mir unbegreiflich. Aber kaum haben wir die Staaten Osteuropas integriert,
gehen schon die nächsten Diskussionen los. Jetzt kann es uns nicht schnell
genug gehen, mit der Türkei Beitrittsverhandlungen zu führen. Und da gebe ich
der Union ja recht, wenn sie sagt, das wollen wir nicht. Aber war das immer so?
Die grundlegenden Weichenstellungen passierten in der Regierung von Helmut Kohl.
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland hausgemachte ökonomische Probleme:
Wir haben ein Ungleichgewicht zwischen Leistungsträgern und Leistungsempfängern.
Zu wenige Leistungsträger müssen zuviele Leistungsempfänger unterstützen.
Dieses Problem müssen wir ohnehin lösen. Und in dieser Phase, in der wir uns
eigentlich auf uns selbst besinnen müßten, laden wir uns noch die Aufgabe der
Integration der osteuropäischen Staaten auf. Und in einem Anfall grenzenloser
Selbstüberschätzung wollen wir nun auch noch den Beitritt der Türkei
schultern? Erst die Pflicht, dann die Kür!
Herr Bundeskanzler, nennen Sie mir bitte einen plausiblen Grund, warum wir die Türkei
in die europäische Union aufnehmen sollen! Warum die Türkei? Ein Land, das zum
überwiegenden Teil in Asien liegt, das einem anderen Kulturkreis angehört und
das Jahrzehnte brauchen wird, um sich unserem Wohlstandsniveau auch nur halbwegs
anzugleichen. Wo ist der Sinn, frage ich mich. Ich sage Ihnen: Wenn wir die Türkei
nach Europa aufnehmen, dann haben aber die Staaten der ehemaligen Sowjetunion
und auch Israel eine weitaus größere Berechtigung zu Europa zu gehören als
eben die Türkei.
Und wenn ich dann höre, daß die Frage des Türkeibeitritts von den Grünen mit
der Frage der Ausländerfeindlichkeit vermischt wird, dann kann ich nur sagen,
hier wird Politik instrumentalisiert. Was bitte hat die Frage des Beitritts der
Türkei zur europäischen Union mit einer Ablehnung des türkischen Volkes zu
tun? Lieben Sie die Österreicher mehr als die Schweizer, nur weil die Österreicher
Mitglied der europäischen Union sind und die Schweizer nicht? Dieser Vergleich
ist genauso vorsätzlich dumm wie die Behauptung, die Wirtschaftspolitik der
Bundesregierung sei schuld am Erstarken einer NPD. Politik muß die Spielregeln
definieren, aber auch Perspektiven aufzeigen. Und dazu gehören zwei Dinge:
Glaubwürdigkeit, also das vorleben, was man fordert, und mutige, eigenbestimmte
Entscheidungen. Unsere Politik, egal ob rot oder schwarz, ist geprägt von Rücksichtnahme
auf diverse Lobbyisten, und zwar beileibe nicht nur aus der Wirtschaft, sondern
aus allen möglichen Verbänden und Interessengruppen, von billiger
Effekthascherei für mediale Schlagzeilen und von Alleingängen allmächtiger
Politmonarchen.
Als Anfang 2000 im Allgäu die erste Kuh an BSE verendete, stampfte die
Staatskanzlei ein ganz neues Resort aus dem Boden. Mittlerweile ist das
Verbraucherschutzministerium längst im Umweltresort aufgegangen – und keiner
zählt mehr die Millionen, die der Steuerzahler für die PR-trächtige
Hoppla-Hopp-Aktion berappen mußte.
Die Alleingänge eines Gerhard Schröder und eines Edmund Stoiber, die am
Parlament und teilweise an der Regierung vorbei in ihrem Küchenkabinett die
politischen Wegweisungen ausbrüten, haben mit der Idee der parlamentarischen
Demokratie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Und so, meine Damen und Herren,
schauen dann auch die Ergebnisse aus. Der Focus, wahrlich kein sozialistisches
Kampfblatt, zitiert den Fraktionschef der CSU im bayerischen Landtag, Joachim
Hermann mit den Worten: „Es macht keinen Sinn, in Bayern eine Basta-Politik zu
betreiben wie der Kanzler in Berlin! Und Michael Glos, Chef der CSU-Landesgruppe
in Berlin, stellt sarkastisch fest, es sei ihm gänzlich unmöglich, Politik zu
betreiben, ohne die „gottgleichen Eingebungen“ der Stoiber-Berater. Und
Horst Seehofer zeigt sich dankbar darüber, daß die Staatskanzlei ihm sagt, was
er zu denken habe. Stoiber handelt damit genauso wie der Chef der Deutschen
Bank. Er sagt seinen Mitarbeitern, daß sie eigentlich überflüssig sind. Nur
entlassen kann er sie nicht, über ihre Positionen bestimmt der Wähler und die
Verfassung. Es hilft eigentlich nur noch das Klonen. Aber bei 11 Stoibers in der
Regierung muß der originale Edmund höllisch aufpassen, daß ihn der fünfte
Reserve-Edmund nicht durch eine geschickte Intrige zu Fall bringt.
Die Bundes- und die Landespolitik führen ein gefährliches Eigenleben, weit an
der Realität vorbei. Es wäre gut gewesen, wenn der bayerische Landtag im Jahre
2003 eine Blutauffrischung durch die Freien Wähler erfahren hätte. Dann würde
ein wichtiger Politikbereich, nämlich der Bürokratieabbau, nicht derart
desaströs und chaotisch ablaufen, wie dies seit einem Jahr im Freistaat
geschieht. Gerade der Bürokratieabbau
wäre eine wichtige Weichenstellung, ein positives Signal für unsere kleine und
mittelständische Wirtschaft. Die Bürokratie in Deutschland kostet den
Unternehmen jährlich 46 Milliarden EURO an Verwaltungskosten. 38,6 Milliarden
EURO entfallen dabei auf kleine und mittlere Unternehmen. Diese Unternehmen müssen
mehr als 5000 Gesetze und Verordnungen mit über 85.000 Einzelvorschriften
anwenden.
Allein im Steuerrecht gibt es 100 Steuergesetze, 96.000 Verwaltungsvorschriften
und mehr als 5.000 erläuternde Schreiben des Bundesfinanzministeriums. Das ist
der Wahnsinn, der sich täglich in unseren kleinen und mittleren Unternehmen
abspielt! Laßt die doch in Produkte und nicht in Bürokratie investieren! Der
Leitsatz unserer heutigen Zeit lautet: „Wer nichts macht, macht wenigstens
nichts falsch.“
Aber
zu diesem Bürokratieabbau muß man auch den Mut haben. Wenn ich abnehmen will,
meine Damen und Herren, reicht es nicht, zum Ernährungsberater zu gehen, dann
muß ich halt einmal den Mut haben und die Härte zu mir selbst, weniger zu
essen.
Die medienträchtige Deregulierungskommission um den früheren Mc Kinsly
Deutschland Chef Herbert Hensler hat nichts, aber auch gar nichts gebracht. Man
hat alles höflich zur Kenntnis genommen, aber nichts umgesetzt. Und nun? Die
Verwaltungsreform made in Bayern ist nichts anderes als eine Kampfansage an
bayerische Staatsbeamte. Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben, einzelne
Behörden werden ohne Wirtschaftlichkeitsberechnung aufgelöst oder verlagert,
Beamte sollen vier Stunden mehr arbeiten.
Ich finde es durchaus in Ordnung, daß in der heutigen Zeit über Mehrarbeit
ohne Lohnausgleich nachgedacht wird. Aber auch hier frage ich nach dem Vorbild.
Es muß auch Sinn machen, meine Damen und Herren, und da muß man doch, bevor
man alles auf dem Rücken der Beamten ablädt und sie demotiviert, erst einmal
die Ursachen bekämpfen. Und Ursachenbekämpfung heißt nun einmal, radikal
Vorschriften in den Reißwolf zu stecken.
Das wird nicht ohne Schmerzen gehen! Weniger Vorschriften heißt auch weniger
Demokratie, auch weniger Bürgerbeteiligung, auch weniger Beteiligung von
Interessenverbänden. Entbürokratisierung heißt auch weniger Verbote. Verbote
sollen aber irgend jemanden schützen. Die Umwelt, die Menschen, sonstige
Beteiligte und Betroffene. Weniger Regulierung heißt stärkeres Spiel der
freien Kräfte. Das kann den Arbeitsschutz betreffen oder den Lärmschutz.
Sicher wird es auch denjenigen an den Kragen gehen, die aus Angst vor Veränderungen
eben diese Veränderungen blockieren und verhindern wollen. Die Angst haben vor
störenden Immissionen eines Gewerbebetriebs zum Beispiel. Über diese
Konsequenzen muß man sich im klaren sein.
Da müßten wir alle zum Umdenken bereit sein.
Andererseits bedeutet ein Weniger an teuren Gutachten, ein Weniger an
Detailprüfung im Genehmigungsverfahren auch mehr Freiräume für kreative und
produktive Verwaltungstätigkeit, für kreative und produktive Arbeit in den
Unternehmen. Wenn wir uns von lieb gewordenen Standards verabschieden, gewinnen
wir auf der anderen Seite auch ein Stück Freiheit zurück. Wir geben damit ein
Signal an all diejenigen, die sich noch nicht aufgegeben haben, die mit ihrem
Status noch nicht zufrieden sind. Wir erzeugen damit Aufbruchsstimmung und
zeigen, daß wir alle ein Stück Bequemlichkeit gegen ein Stück mehr Engagement
eintauschen wollen. Wenn dieses Signal auch von oben, von der Wirtschaft, den
Verbänden und der Politik kommt, und wenn das auch noch positiv von den Medien
begleitet wird, dann, meine Damen und Herren, können wir auch in Deutschland
und in Bayern wieder positiv nach vorne blicken.
Und zum Schluß meiner Ausführungen darf ich der bayerischen Staatregierung,
passend zum Aschermittwoch noch einen Rat mit auf den Weg geben: Nutzen Sie die
Fastenzeit zu einem echten Bürokratieabbau. Nutzen Sie die Fastenzeit zum
Abspecken! Wer abnehmen will, meine Damen und Herren, muß weniger essen. Unsere
Gesetze und Verordnungen sind wie die Kalorien: Weniger ist mehr! Zeigen Sie
Disziplin, beginnen Sie mit Ihrer Abmagerungskur! Wir hätten gerne mit Ihnen
gehungert – das hat der Wähler in 2003 noch nicht gewollt. Nun beschränken
wir uns darauf, als Ratgeber aufzutreten. Spätestens in 2008 werden wir Sie in
der Staatsregierung an den Ergebnissen Ihrer Diät dann messen!
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.